Die Briten sind gegenüber Deutschland eine Verpflichtung eingegangen. Es war die Regierung Cameron, die der Bundesregierung zugesichert hatte, bis 2019 alle noch in Deutschland stationierten Truppen abziehen zu wollen. Britische Truppen sind immer noch hier. Die Begründung für ihren weiteren Verbleib fand sich in einer bemerkenswerten außenpolitischen Einschätzung. Danach sei das außen-und sicherheitspolitische Verhalten der Russischen Föderation Maßstab dafür, britische Truppen weiter in Deutschland stationiert zu haben. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, die hier noch vorhandene Zahl britischer Truppen wieder aufzustocken, wenn es Großbritannien mit seiner Politik gegenüber Moskau paßt. Selbstredend scheint dabei zu sein, daß diese Vorgehensweise keine Rücksicht auf die deutsche Haltung gegenüber der europäischen Macht nimmt, die die Grundlagen für die Wiedervereinigung Deutschlands 1989/1990 gelegt hatte. Eine Macht, die in der Form der damaligen Sowjetunion darauf vertraute, die europäische Zukunft nach der Charta von Paris aus dem November 1990 gestaltet zu sehen.
Das britische Verhalten macht nicht nur politische Bewertungsunterschiede zwischen London und Berlin deutlich, was Moskau anbetrifft. Es wirft die Frage danach auf, bis zu welchem Grad Berlin überhaupt in der Lage ist, seine eigene Einschätzung über Notwendigkeiten der deutschen Politik gegenüber der Russischen Föderation umzusetzen? Wann setzen andere, darunter London, gegen den Willen Berlins auf deutschem Territorium und/oder eine deutsche, politische Haltung in Zusammenhang mit Moskau Fakten, die automatisch die deutsche Haltung an eine fremde Vorgehensweise binden? Vor diesem Hintergrund ist es gerade zwingend, sich in Anbetracht des seit Jahren laufenden Aufmarsches gegen die Russische Föderation, auch durch das neutrale Österreich, über die Rolle des NATO-Truppenstatutes und vor allem des nur alleine Deutschland betreffenden Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatutes im klaren zu sein. Bei genauer Betrachtung dieser völkerrechtlichen Konstruktionen fallen zwei Aspekte ins berühmte „Auge“: die Bindung der Stationierung fremder Truppen auf deutschem Staatsgebiet an den NATO-Vertag mit seiner Bindung an die Charta der Vereinten Nationen und eine strikte Ausrichtung der NATO an den Grundgedanken der Verteidigung und einer eindeutigen regionalen Beschänkung der NATO. Nach der Charta der Vereinten Nationen dürfen nur regionale Bündnisse zur Verteidigung geschlossen werden. Warum aber dann das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, das nur für Deutschland gilt? Unabhängig von wohlklingenden politischen Erklärungen muß der Eindruck bestehen, daß über das berüchtigte Zusatzabkommen früher bestehende, besatzungsrechtliche Vorschriften in eine neue Zeit übertragen worden sind.
Frankreich hat daraus Konsequenzen gezogen, auf die man bei Großbritannien und mehr noch bei den USA vergeblich hoffen dürfte.
Heute ist die NATO gegen die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen „globaler Kriegsdienstleister“. Nicht, daß die Veränderungen bei der NATO den Parlamenten der NATO-Mitgliedsstaaten zwecks Zustimmung vorgelegt worden wären. Den Krieg gegen Jugoslawien 1999 konnte man nur unter dem Bruch des Völkerrechtes führen. Bis heute geht die angelsächsische Führung der NATO davon aus, daß man nie und nimmer die Parlamente der Mitgliedsländer dazu bringen könnte, der Änderung des NATO-Vertrages und den Weg von der Verteidigungsallianz hin zu einem weltweiten Angriffsbündnis zuzustimmen. Es ist der Zwang, der die heutige NATO bestimmt und in Deutschland dazu führt, fremde Truppen hier stationiert zu sehen, die sich wie die eigentlichen Machthaber aufführen.
Dabei spielt es fast keine Rolle, unterschiedliche Herangehensweisen zwischen London und Washington feststellen zu können.
Global ist man sich einig, sich Moskau und Beijing nach der Methode vorzunehmen, die 1871 nach der Gründung des Deutschen Reiches den damaligen britischen Premierminister Disraeli von einem Zusammenbruch der bis dahin bekannten Welt reden zu sollen. London war es gewohnt, auf dem Kontinent zu schalten und zu walten, wie es wollte. Da stand jetzt Berlin dagegen, wie die Berliner Konferenz zur friedlichen Konfliktbeilegung deutlich machte. Für London war das „der Leibhaftige“. Nicht anders ergeht es heute Beijing und Moskau. Deshalb bestehen die „westlichen Planungen“, aus China acht unabhängige Staaten und aus Rußland derer über vierzig zu machen. Derzeit kann man wegen der Uiguren im Westen Chinas, der Unabhängigkeitsforderung in Hongkong und der Lage in Myanmar sehen, wie man so etwas macht. Bei Rußland muß man sich nur anhören, was Präsident Biden so alles über Präsident Putin sagt. Die Ziele sind klar und sind bei Disraeli abgekupfert: „Karthago esse delendam“, wie es nach 1871 für Deutschland gegolten hatte. Dennoch gibt es Unterschiede und die liegen im amerikanischen Machtverlust und der britischen Einschätzung der Lage. Noch vor vier-fünf Jahrzehnten war es für London ganz gegen die Gewohnheit, der amerikanischen Macht „östlich von Suez“ weichen zu müssen. Jetzt wittert man in London „Morgenluft“ und will nach Asien zurück und wenn man dafür den Atomwaffen-Sperrvertrag opfern muß. Englische Truppen in Deutschland sind unter diesen Umständen wegen ihrer bloßen Präsenz mit deutschen Interessen nicht zu vereinbaren. Sie machen uns zum Objekt britischer Politik anderen Staaten gegenüber.
Willy Wimmer
Stastssekretär des Bundesministers der Verteidigung a. D.