Ansichtskartensammlern ist der Name Bertha Zillessen ein Begriff. Ihre Bildpostkarten zeichnen sich durch ihre besondere Handschrift aus. Es ist eben eine weibliche Handschrift. Unter ihresgleichen war Bertha Zillessen eine Exotin. Nahezu alle Fotografen, die ihr Metier in Bautzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausübten, waren Männer. Bertha Zillessen, die sich 1908 in der Spreestadt niederließ, ist die erste Bautzener Berufsfotografin. Nachdem von Januar bis April 2019 im Museum am Bautzener Kornmarkt eine Ausstellung mit Arbeiten der Fotografin zu sehen war, widmete sich ein Vortrag nun nochmals ausführlich dem Leben und Schaffen von Bertha Zillessen. Da wegen Corona nicht so viele Besucher gleichzeitig in den Vortragsraum gelassen werden können, hielt Museumsmitarbeiter Hagen Schulz den Vortrag gleich zweimal, am Dienstag und am Mittwoch.
Bertha Zillessen sei in jeder Hinsicht eine ungewöhnliche Frau gewesen, sagte der Referent. Sie brach aus der in ihrer Zeit den Frauen zugewiesenen Rolle als Hausfrau und Mutter aus, war berufstätig, ja sogar selbstständig. Die Fertigkeiten als Handwerksfotografin eignete sie sich im Schnelldurchgang mithilfe von Praktika an. Den Aufwand für eine übliche sechsjährige Ausbildung wollte sie nicht leisten. Besonders wichtig für sie war die Teilnahme an Lehrgängen in der Lehr- und Versuchsanstalt für Fotografie in Düsseldorf, wo sie verschiedene fotografische Techniken erlernte. Im Oktober 1908 meldete die vom Niederrhein stammende junge Frau in Bautzen ihr Gewerbe an. Sie eröffnete aber kein Atelier oder Ladengeschäft, sondern bot ihre Dienste als Porträtfotografin mit „Klingelputzen“ an. Das heißt, sie ging von Haustür zu Haustür und fotografierte die Menschen in ihrer Lebenswelt. Schon bald aber spezialisierte sie sich auf die bildliche Darstellung von Stadt- und Dorfansichten, sowie Landschaften.
Bertha Zillessen fotografierte viel in ihrer Wahlheimat, der Oberlausitz, aber sie blickte auch über den Tellerrand und reiste von den Alpen bis zur Ostsee. Ihre Spezialität waren Serien mit Stadt- und Ortsansichten, die bis zu 12 Bilder umfassten. Wer schon einmal Postkarten von ihr in der Hand gehabt hat, wird feststellen, dass die wenigsten beschrieben sind und mit der Post versendet wurden. Vielmehr dienten sie vielen Interessenten als Sammelobjekte. Denn zu jener Zeit konnten sich die wenigsten eine Urlaubsreise in die Ferne leisten. Bertha Zillessen verschrieb sich sehr dem Heimatschutzgedanken und stellte die Städte und Ortschaften von ihrer schönsten Seite dar. Sie suchte auch eher abseits gelegene Orte auf und kitzelte verborgene Schönheiten heraus. Bertha Zillessen hatte einen Sinn für malerische Details und besondere Stimmungen. Dies machte sie sich zunutze, indem sie für Kunstfreunde großformatige Fotografien herstellte, die in ihrer Wirkung als Wandschmuck einer Grafik in nichts nachstanden. Natürlich hatten diese Bilder auch ihren Preis. Überhaupt erwies sich die Fotokünstlerin auch als eine gute Geschäftsfrau, die es verstand, ihre Arbeiten zu vermarkten. Ihr zur Seite stand dabei ihre Assistentin und Lebensgefährtin Margarethe Karow.
Ihre Postkartenserien, die ihr das tägliche Brot sicherten, vermarktete Bertha Zillessen über drei Verlage, unter anderem auch im Namen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz. Mit dessen Vertretern teilte sie das Interesse am Hochhalten von Traditionen und an der Dokumentation von kulturellen Werten. Deshalb suchte die Fotografin auch vorzugsweise Orte auf, die von der Industrialisierung verschont geblieben waren. Ihre Sehnsucht nach einer intakten Welt stand dabei allerdings im krassen Gegensatz zur gesellschaftlichen Realität. Ihre eher rückwärtsgewandte Darstellungsweise korrespondierte jedoch durchaus mit den Wünschen der Käufer ihrer Postkartenserien, die ein friedliches Abbild ihrer Heimat bevorzugten.
Wer es sich als Ansichtskartensammler zum Ziel gesetzt hat, alle Postkarten von Bertha Zillessen zusammenzutragen, hat einiges vor. Denn von ihr existieren mehr als 1000 verschiedene Motive.