Eine autobiografisch-reflektierende Erzählung des Andreas Manousos
Es war ein Schultag wie jeder andere in der sechsten Klasse der Realschule Dormagen. Unser Biologielehrer Herr Kott, der unbestritten beliebteste Lehrer der Schule, stand vorne und erklärte mit seiner ruhigen, überzeugenden Stimme: „Tiere handeln ausschließlich aus Instinkt. Sie können nicht denken.“
Die meisten meiner Mitschüler akzeptierten diese Aussage als gegeben. Doch ich konnte nicht still bleiben. Zu Hause wartete Rocky, mein Wellensittich, dessen cleveres Verhalten mir täglich das Gegenteil bewies. „Das stimmt nicht, Herr Kott“, sagte ich laut. „Mein Rocky kann denken!“
Rocky war für mich mehr als ein Haustier. Er war ein Gefährte, ein kleiner Philosoph. Wenn er „Gib Keks!“ rief, dann wusste er genau, was er sagte – und dass ich darauf reagieren würde. Aber er konnte mehr.
Einmal, als ich traurig in meinem Zimmer saß, pickte er sanft an meinem Ohr und sagte: „Alles gut?“ Das war kein instinktives Verhalten, sondern Empathie. Rocky spürte meine Stimmung und reagierte darauf. Er traf Entscheidungen und kommunizierte bewusst – das konnte ich nicht ignorieren.
Ich versuchte, Herrn Kott von Rockys Intelligenz zu überzeugen. Andere Kinder berichteten ebenfalls von den erstaunlichen Fähigkeiten ihrer Haustiere. Doch unser Lehrer blieb bei seiner Überzeugung: „Tiere reagieren nur auf Reize.“ Als die Diskussion immer hitziger wurde, vergab er mir eine Fünf – ein Versuch, die Sache zu beenden.
Rückblickend sehe ich, dass Herr Kott kein schlechter Mensch war. Vielleicht war es meine Art, wie ich meine Überzeugung vertrat, die ihn aus der Fassung brachte. Und obwohl ich in diesem Moment keine Fünf verdient hatte, muss ich zugeben, dass ich sie für meine sonstigen Störungen im Unterricht durchaus verdient gehabt hätte. Deswegen habe ich sie letztlich akzeptiert.
Heute wissen wir, dass Tiere wie Rocky keine Ausnahme sind. Von Papageien und Hunden über Delfine und Elefanten bis hin zu Krähen, Kühen, Orang-Utans und sogar malenden Elefanten – Tiere denken, fühlen, kommunizieren und handeln bewusst. Ihre sozialen Fähigkeiten und ihr emotionales Spektrum ähneln uns oft mehr, als wir je dachten.
Eines der faszinierendsten Beispiele moderner Forschung ist Bunny, ein Hund, der Sprachbuttons nutzt, um mit seinen Menschen zu kommunizieren. Bunny begann mit einfachen Begriffen wie „spielen“ und „Futter“, doch bald kombinierte er diese zu komplexen Aussagen.
Der Moment, der die Welt faszinierte, war, als Bunny die Buttons „Daddy went work“ drückte, um mitzuteilen, dass ihr menschlicher Papa zur Arbeit gegangen war. Diese Aussage zeigt ein Verständnis von Vergangenheitsformen und zeitlichen Abläufen, das lange nur Menschen zugeschrieben wurde.
Auch Katzen nutzen zunehmend Sprachbuttons. Sie drücken Begriffe wie „spielen“, „raus“ oder „nicht mögen“. Einige Katzen verwenden die Buttons sogar, um Träume oder Beobachtungen mitzuteilen.
Eine besonders humorvolle Geschichte ist die einer Katze, die mehrfach „Tür“ und „auf“ drückte. Als die Tür geöffnet wurde, setzte sie sich hin, drückte „spielen“ und wartete – ein spielerischer Streich, der zeigt, dass auch Katzen eine humorvolle Intelligenz besitzen.
Alex, der berühmte Graupapagei, stellte die Wissenschaft auf den Kopf. Er beherrschte über 100 Wörter, konnte zählen, Farben benennen und stellte Fragen wie: „Welche Farbe hat ein Graupapagei?“ Seine Fähigkeit, abstrakte Konzepte zu verstehen und selbstständig zu denken, machte ihn einzigartig. Doch Alex konnte noch mehr: Er war in der Lage, seiner Ziehmutter, Dr. Irene Pepperberg, seine innere Welt mitzuteilen. Er sprach darüber, wie er sich fühlte und was er begehrte. Einmal äußerte er, dass er einsam war, und bat darum, einen Gefährten zu bekommen. Diese Fähigkeit, Emotionen und Bedürfnisse klar zu artikulieren, zeigt, wie tiefgreifend die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Papageien sein können.
Als Alex eines Tages keine Lust mehr auf eine Aufgabe hatte, unterbrach er Dr. Pepperberg mit den Worten: „Ich gehe.“ Diese Demonstration von Eigenwillen zeigt, dass Tiere bewusst entscheiden können.
Koko, der Gorilla, kommunizierte in Gebärdensprache und zeigte eine emotionale Tiefe, die Menschen weltweit bewegte. Als ihr geliebtes Kätzchen starb, sagte sie: „Kätzchen schlafen. Koko traurig.“
Doch Koko hatte auch Humor. Einmal zeigte sie ihrem Trainer die Gebärde für „Elefant“ und wartete, bis er sich verwirrt umsah – dann lachte sie. Koko bewies, dass Tiere nicht nur denken, sondern auch Freude an Humor und sozialen Spielen haben können.
Orang-Utans, die sanften Riesen der Regenwälder, sind nicht nur für ihre Intelligenz bekannt, sondern auch für ihre Fähigkeit, sich selbst zu heilen. Sie verwenden gezielt Heilpflanzen, die sie in ihrem Lebensraum finden, um Wunden zu behandeln und Infektionen vorzubeugen. Dieses Verhalten, bekannt als „Zoopharmakognosie“, wird von Generation zu Generation weitergegeben. Muttertiere bringen ihren Jungen bei, welche Pflanzen zu verwenden sind und wie diese anzuwenden sind.
Malende Elefanten sind ein weiteres erstaunliches Beispiel für die Kreativität und Kommunikationsfähigkeit von Tieren. Diese Elefanten nutzen Pinsel, um Bilder zu malen, die oft erstaunlich komplexe Formen und Muster zeigen. Es gibt dokumentierte Fälle, in denen Elefanten mit ihren Gemälden Szenen aus ihrem Leben darstellen, wie etwa andere Elefanten, Bäume oder Landschaften. Dieses Verhalten zeigt nicht nur eine beeindruckende Feinmotorik, sondern auch die Fähigkeit, abstrakte Gedanken in visuelle Formen zu übersetzen. Gleichzeitig kommunizieren Elefanten über tieffrequente Rufe und Berührungen, wodurch sie über große Distanzen hinweg Informationen übermitteln können – eine Form der Kommunikation, die so raffiniert ist, dass sie uns Menschen oft verborgen bleibt.
Delfine kommunizieren mit individuellen Pfeiflauten, die wie Namen funktionieren. Sie planen Jagdstrategien, lösen Probleme und zeigen spielerisches Verhalten, das Neugier und Kreativität beweist.
Elefanten nutzen Heilpflanzen, erkennen sich im Spiegel und zeigen Rituale, die an Beerdigungen erinnern. Ihre emotionale Welt ist tief und faszinierend.
Krähen biegen Drähte, lösen mehrstufige Probleme und verstehen Ursache und Wirkung. Ihr Verhalten zeigt eine Intelligenz, die oft mit der von Primaten verglichen wird.
Kühe trauern, bilden Freundschaften und zeigen starke emotionale Bindungen. Studien belegen, dass Kühe in vertrauter Gesellschaft besser lernen – ein Beweis für ihre soziale Intelligenz.
Wenn ich heute an Herrn Kott denke, sehe ich ihn nicht als Gegner. Er war ein hervorragender Lehrer, der jedoch durch die wissenschaftlichen Dogmen seiner Zeit eingeschränkt war.
Doch Rocky hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, Fragen zu stellen.
Heute, 13 Jahre nachdem ich meinen Graupapagei bei mir aufgenommen habe, erlebe ich täglich aufs Neue, wie viel Intelligenz und Sozialkompetenz in diesen Tieren steckt. Er führt mich mit Witz und Neugier sehr oft hinters Licht, täuscht mich, um dann doch an die Fernbedienung zu gelangen und sie anzuknabbern. Gleichzeitig überrascht er mich mit seinem Einfallsreichtum und zeigt mir, dass wir Menschen noch viel von Tieren lernen können.
Wie sagte Koko so treffend? „Tier. Mensch. Gleiche. Liebe.“ Es ist Zeit, Tiere mit Respekt und Anerkennung zu betrachten – als fühlende, denkende Wesen, die uns im Sozialen oft mehr ähneln, als wir je dachten.