Oberlausitzer Politik und Wirtschaft fordern Bund zur Bahnelektrifizierung auf
Eine Elektrifizierung der Bahn-Strecke Dresden-Görlitz ist seit über 20 Jahren in der Diskussion, aber bisher nie in die Umsetzung gegangen. Die beiden Landräte Udo Witschas (Landkreis Bautzen) und Dr. Stephan Meyer (Landkreis Görlitz) sowie 64 Bürgermeister und Vertreter von Wirtschaftsverbänden der beiden Landkreise, haben jetzt in einem offenen Brief an den Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing ihrem Ärger Luft gemacht. In dem Brief, initiiert vom Bischofswerdaer Oberbürgermeister Prof. Dr. Holm Große (parteilos), wird die schnellstmögliche Elektrifizierung der Bahnstrecken Dresden-Görlitz (weiterführend nach Wrocław/Polen) sowie Dresden-Zittau (weiterführend nach Liberec/Tschechische Republik) gefordert. Dies sei, wie der bereits geforderte Ausbau der Bundesautobahn 4 zwischen Dresden und Görlitz, im Sinne des Strukturwandels für die Oberlausitz ebenso überlebenswichtig. Die Bahnverbindungen könnten zudem eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen – zum Beispiel im Rahmen des Transitverkehrs mit einer sogenannten „rollenden Landstraße“.
Im Jahr 2003 wurde ein deutsch-polnischer Staatsvertrag zur Elektrifizierung der Bahnstrecke Wrocław-Dresden unter Dach und Fach gebracht. Seit 2019 ist die Elektrifizierung von der polnischen Grenze bis Wroclaw fertiggestellt. Der Freistaat Sachsen ist für den Ausbau auf deutscher Seite mit Planungsleistungen von mehr als zehn Millionen Euro in Vorleistung gegangen. „Was ist bisher sonst noch passiert? Fast nichts, außer dass die Deutsche Bahn unter anderem Brückenwerke für die Elektrifizierung und daraus folgenden höheren Geschwindigkeiten vorbereitet hat“, fasst Holm Große während einer gemeinsamen Pressekonferenz, u. a. mit den beiden Landräten, seinen Bautzener und Zittauer Amtskollegen Karsten Vogt und Thomas Zenker, den jahrzehntelangen Stillstand zusammen.
Die Oberlausitzer Verantwortungsträger fordern deshalb die Bundesregierung auf, die Bahnstrecken Dresden-Görlitz sowie Dresden-Zittau umgehend in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen. Dies ist notwendig, um die beiden Trassen in die sogenannte „Genehmigungsbeschleunigung Verkehr“ integrieren zu können. Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hatte am 28. März 2023 die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für wichtige Verkehrsinfrastrukturprojekte beschlossen.
Für Unmut bei der Oberlausitzer Politik und Wirtschaft sorgt zudem, dass Bund und Deutsche Bahn einen regionalen Lösungsvorschlag des Elektrifizierungsdilemmas negieren. Während die DB über 420 Millionen Euro für die Elektrifizierung der
Bahnstrecke zwischen Dresden und Görlitz veranschlagt, verweigert sie sich einer deutlich günstigeren Lösung durch die in Dresden sitzende SachsenEnergie AG. Diese ist mit 3.300 Mitarbeitenden und 2,8 Milliarden Euro Jahresumsatz der viertgrößte kommunale Versorger Deutschlands.
Die SachsenEnergie und deren Tochter SachsenNetze hatten kalkuliert, dass die Elektrifizierung der Strecke Dresden-Görlitz für 100 bis 150 Millionen Euro zuzüglich baulicher Änderungen an der Trasse machbar wäre – bei einer Bereitstellung der Energieversorgung in vier statt in zwölf Jahren. „Der SachsenNetze-Vorschlag liegt nach wie vor auf dem Tisch: Es gibt ein ordentlich ausgebautes Hochspannungsnetz nahe der Bahntrasse. Wir müssten lediglich ein Umrichterwerk und ein 400 Meter langes Leitungsstück errichten. Auf den planungstechnisch umständlichen und langwierigen Neubau einer 60 Kilometer langen Bahnstromleitung mit all ihren Auswirkungen kann aus unserer Sicht verzichtet werden. Ein weiterer Vorteil neben der Tatsache, dass unser Angebot auch noch deutlich günstiger ist: Unsere Lösung könnte einen wichtigen Beitrag zum herstellungsnahen Verbrauch der in der Region erzeugten erneuerbaren Energien leisten“, so der SachsenNetze-Geschäftsführer Dr. Steffen Heine während der Pressekonferenz, die symbolhaft vorm Bischofswerdaer Bahnhof stattfand.
Den offenen Brief unterzeichneten rund 64 Oberlausitzer Verantwortungsträger. Diese erwarten jetzt von Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing ein zeitnahes Gesprächsangebot. „Wer meint, die Oberlausitz abkoppeln zu können, dem sei ins Stammbuch geschrieben: Wir sind hier nicht am Ende Deutschlands, sondern mitten im Herzen Europas“, schickt Oberbürgermeister Holm Große abschließend mahnende Worte gen Berlin.
Karsten Vogt, Oberbürgermeister der Stadt Bautzen:
„Strukturwandel kann nur mit einer entsprechenden Infrastruktur funktionieren – auf der Schiene, auf der Straße und im Datennetz. Darum fordern wir ostsächsischen Kommunalpolitiker erneut geschlossen und in aller Deutlichkeit die Entscheider in Berlin und Dresden zum Handeln auf.“